Überlegungen zur Ausstellung Archivo F.X. von Pedro G. Romero im Württembergischen Kunstverein Stuttgart

Ich betrete die Austellungsräume und sehe keine langen dunklen Gänge mit Regalen voller Aktenordner, auch verstaubte Kisten und einen grauen Teppichboden sehe ich nicht. Ich entdecke eine Holzkonstruktion die eine ähnliche Funktion hat wie ihre Verwandten im Archiv meiner Vorstellung: Sie verwahrt Material. Das Material scheint jedoch nur vorläufig eingeordnet zu sein. Es sind keine weiteren Angaben gemacht, welche Nummer beispielsweise das archivierte Stück hat, woher es stammt oder wie alt es ist. Insgesamt entsteht der Eindruck einer vorläufigen Konstruktion.
Das Archivo F.X. von Pedro G. Romero setzt sich mit dem Phänomen des Ikonoklasmus auseinander. Es nähert sich diesem Begriff über eine Nebeneinanderstellung zweier historischer Bilderstürme: Dem antiklerikalen Ikonoklasmus in Spanien sowie dem avantgardistischen Ikonoklasmus Anfang des 20.Jhd. Drei, sich überschneidende Bereiche bilden das Archivo F.X.: Bild-Schlagwort-Kombinationen, sogenannte Entradas, erstellt aus gesammeltem Material über die beiden zu verhandelnden Ausprägungen des Ikonoklasmus, stellen das Archivmaterial dar. Ihre Anordnung scheint offen für Veränderungen. Auf Grund der Auslassung jeglicher Quellenbezüge ist es nicht möglich auf die Originalität des ausgestellten Materials zu schließen. Information ist hier als Fragment gegeben. Die "theatralischen Aufführungen des Archivo F.X." inszenieren das zuschreibungsbefreite Material, die Entradas. Sie führen uns die Informationen vor, sie greifen ein, überhöhen und dramatisieren, schwächen ab und langweilen auch. Imaginäre Räume, gewidmet den Künstlern Hugo Ball und Emmy Hennings, Joseph Beuys und Alexander Kluge, erweitern den Ausstellungsbereich um drei Mikroausstellungen. Eine Reihe bilden diese Räume zuerst über ihre Farbgestaltung: Hugo Ball und Emmy Hennings wirken im Gold, Joseph Beuys im Weiß und Alexander Kluge im Schwarz. Zum Zweiten nehmen die Räume jeweils vergleichbare Orte in der Struktur der Ausstellung an: Die Distanz des Raums zum Zentrum der Ausstellung bleibt in allen drei Fällen gleich. Dieser formalen Gestaltung schließen sich mir folgende Fragen an: Wie kommt neben den Zuordnungen Beuys-White Cube und Kluge-Blackbox diejenige Ball/Hennings-Salon D'or zustande? Von welchem Punkt aus lassen sich die vermeintlichen Inhalte, ein zehnstündiger Film über das Kapital, eine inszenierte öffentliche Verwandlung einer Zarenkrone in einen Friedenshasen und Objekte des Cabaret Voltaire nebeneinander denken? Wie ergibt sich die Verschiebung der Vermittlung von Inhalten, die sich durch die gesamte Ausstellung zieht?
Das Bild des Archivs als Speicher objektiven, gesicherten und konsumierbaren Wissens wird in Frage gestellt ohne zerstört zu werden. Vielmehr erscheint es in einen anderen Zusammenhang eingebettet. Das Archivo F.X. verweist auf das Potential eines poetischen Informationsbegriffs. Das Gegebene-Gewesene geht nicht in vorhandenen Denkstrukturen auf, verschwindet nicht. Somit ist Raum gewonnen für Verknüpfungen des Gegebenen-Gewesenen, die nicht vorwegnehmbar, jedoch keinesfalls beliebig sind. Die Illusion objektiven Wissens, das vom Künstler über das Werk zum Betrachter reichen soll, wird vermieden. Der Empfänger von Informationen wandelt sich zum Akteur. Er wird verantwortlich in dem Sinne, dass er in den Lücken dieser Archivkonstruktion Wissen produzieren muss. Das Positionierte wird zum Positionierenden.